SPRING/SUMMER 2023

ISAR 300 // THE LONGEST DAY 2021

"Wie wäre das eigentlich, einmal die ganze Isar entlang zu fahren - und zwar an einem Tag?"

SPRING/SUMMER 2023 // A NEW SEASON


Für uns bei EVOC geht es sowohl um das Gefühl auf dem Bike als auch um das Gefühl im Herzen: der Drang, neue Orte zu erkunden, atemberaubende Trails zu entdecken, mit Freunden unvergessliche Rides zu erleben. All das ist und bleibt der Kern unserer DNA. Aus diesem Kern entspringen Inspiration und Ideen für unsere Produkte und Designs. Und unsere Motivation, unsere Produkte ständig zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Fotos: Baschi Bender 
Crew: Uli Plaumann, Achim Schmidt, Hermann Meyer, Jan Sallawitz, Tom Dachroth, Bene Ruf, Baschi Bender

2. JULI 2021, 03:45 UHR

Es ist kurz vor vier am Morgen, kalt und dunkel – und wir fahren in die falsche Richtung! Heute ist der Tag, an dem jeder von uns länger im Sattel sitzen wird als jemals zuvor in seinem Leben. Denn heute wollen wir versuchen, die Isar in ihrer ganzen Länge abzufahren. Von der Quelle in Scharnitz bis zur Mündung bei Deggendorf – mit dem Gravel-Bike. An einem einzigen Tag! Und da der Start natürlich an der Quelle sein muss und diese im Naturschutzgebiet liegt, müssen wir mit dem Rad erst mal dorthin. Das bedeutet, zehn Kilometer das Tal hinauf und denselben Weg gleich wieder zurück!

SOMMER 2020:

Nach einer langen Gravel-Tour sitzen wir beim Altwirt in Lenggries und das zweite Bier schmeckt noch besser als des erste! Angefüllt von den Eindrücken des Tages philosophieren wir wieder einmal über das Graveln. Als Münchner kennen wir die Isar vom Mountainbiken auf den Trails und auch auf Rennradtouren kreuzt man immer wieder mal ihren Weg. Aber erst seit uns Gravel-Bikes die Möglichkeit geben, die Faktoren Geschwindigkeit und Geländegängigkeit zu kombinieren, rückt dieser Fluss erstmalig in seiner gesamten Länge in unseren Blick.

Startpunkt Isarursprung und Endpunkt Isarmündung sind schnell in einen Routenplaner eingegeben: Flusslänge: 279 km, Länge der empfohlenen Fahrradroute: 305 km, geschätzte Fahrzeit: 17 Stunden … Ist das nicht eine schöne Wochenend-Bikepacking-Tour mit zwei 150 km-Etappen?

Oder ist man nicht gerade durch das Gravel-Bike in der Lage, diese Strecke an einem einzigen Tag zu machen? Mit den letzten Schlucken des zweiten Bieres treffen wir den Entschluss, die Strecke als extreme Tagestour in Angriff zu nehmen. Einfach mal die Grenzen des Gravel-Bikens ausloten – und natürlich auch die unserer eigenen Leistungsfähigkeit. Einig sind wir uns, dass wir dafür den längst-möglichen Tag des Jahres benötigen werden. Der Termin um die Sommersonnenwende ergibt sich also automatisch – genauso wie die Gewissheit, ab jetzt so häufig wie möglich auf dem Rad sitzen zu müssen.

2. JULI 2021, 04:20 UHR

Es ist so weit, das erste Morgengrauen zeichnet die mächtigen Karwendelketten als Scherenschnitt in den Himmel. Wir haben das Befüllen unserer Trinkflaschen mit einem erfrischenden Fußbad im „Isar Ursprung 1“ kombiniert und rollen nun zügig das Hinterautal hinab. Die Landschaft ist atemberaubend, das Wetter verspricht ideal zu werden und die Stimmung in der Gruppe positiv aufgeregt. 

Bis jetzt also alles ausgezeichnet! Hinter Scharnitz biegen wir auf den Isarradweg ab und überqueren die Grenze nach Deutschland. Es ist noch nicht mal halb sechs Uhr am Morgen und wir sind schon richtig in Schwung. Der kleine Schotterpfad schlängelt sich wie gemalt den Fluss entlang. Wir sind im Flow und können es richtig laufen lassen. 

Das müssen wir auch, denn wollen wir unser Ziel noch bei Tageslicht erreichen, sollten wir es auf einen Stundendurchschnitt von 25 Kilometern bringen – und das den ganzen Tag lang wohlgemerkt!

Auf unserer Route: die Kanada-Loipe von Krün nach Vorderriß. Auf diese Extrahöhenmeter mit reichlich steilen Schotterrampen wollen wir nicht verzichten. Kein Streckenabschnitt vereint besser, was wir als perfektes Gravel-Erlebnis betrachten: großartige Landschaft, absolute Flussnähe und abwechslungsreiche Streckenführung. 

Außerdem haben wir uns vorgenommen, so viel Strecke wie möglich auf Schotterwegen zurückzulegen. Graveln halt! Wir fliegen am Sylvensteinspeicher entlang, tauchen durch einen dunklen Tunnel in eine steile Abfahrt und sausen neben der Landstraße nach Lenggries hinein. Es ist immer noch früh am Morgen und wir haben das Gefühl, dass diese Tour bei Weitem nicht so anstrengend wird wie erwartet!

2. JULI 2021, 09:20 UHR

Die Bad Tölzer Innenstadt unterqueren wir direkt am Flussufer unter pittoresken Brückenbögen. Zeit zum Sightseeing ist keine – die Gruppe rollt und wir wollen Zeit sparen. Wer weiß was uns noch alles erwartet … Und so verfransen wir uns auch direkt im Anschluss in den breiter werdenden Isarauen vor Geretsried. Mühsam müssen wir uns auf sehr groben Trails unseren Weg suchen. 

Ein Mountainbike wäre hier besser geeignet! Nachdem wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, stellen wir fest, dass uns der Ausflug ins Unterholz einiges an Zeit gekostet hat. Wir beschließen das Tempo zu erhöhen und schießen in enger Formation an Wolfratshausen vorbei, durch die Pupplinger Au und auf dem Kanaldamm entlang bis zum Kloster Schäftlarn.

Diese wunderbar abwechslungsreiche Strecke mit einer guten Gravel-Crew erleben zu dürfen, begeistert alle und von den bereits zurückgelegten 120 km merkt noch niemand wirklich etwas in den Beinen. Auf unserer „Münchner Hausstrecke“ angekommen, biegen wir motiviert in einen kleinen Trail ab. 

Und donnern hinter der Kurve fast in einen umgestürzten Baum, der den Trail blockiert. Umdrehen wollen wir nicht und so hangeln und schlängeln wir uns über den rutschigen Stamm und durch das dichte Geäst. Mist, das kostet schon wieder Zeit. Zumal direkt danach noch zwei weitere umgefallene Bäume auf uns warten … 

2. JULI 2021, 13:10 UHR

Das Seehaus mit seinem sonnigen Biergarten liegt zufälligerweise fast genau auf Hälfte der Strecke. Zeit für ein ausgiebiges Mittagessen! So schön die Mittagspause war, so schwer fühlen sich die Beine danach an und wir kommen nur mühsam wieder in Schwung. Das Bild vom Fluss hat sich komplett gewandelt. 

Die Schotterstraße führt jetzt fast schnurgerade an der ruhig dahinfließenden Isar entlang. Die frische Bergluft des Vormittags ist einem etwas brackigen Duft gewichen, der uns von nun an begleiten wird. 

Die einzig wirkliche Abwechslung findet durch die unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten statt, die von hell, sandig staubig zu dunkel, fast rötlich und lehmig wechseln und ganz unterschiedliche Rolleigenschaften bieten.

Mal gleitet man mühelos dahin, dann fühlt es sich wieder an, als hätten die Reifen zu wenig Luft. So treten wir vor uns hin, immer bemüht, die Geschwindigkeit hochzuhalten, ohne zu schnell zu ermüden. 

 Der Nachmittag zieht so dahin, wir passieren viele kleine Örtchen und Städtchen, von denen wir noch nie gehört hatten, und unsere Gespräche reduzieren sich zunehmend auf das Notwendigste. Mehr und mehr versucht jeder die aufkommende Müdigkeit zu bekämpfen.

2. JULI 2021, 18:10 UHR

In Landshut treffen wir zum letzten Mal auf unser Begleitfahrzeug und stürzen uns auf die restlichen Landjägervorräte. Angesichts der „nur“ noch verbleibenden 75 km genehmigen sich einige ein Radler dazu. Allerdings müssen wir nun wirklich Gas geben, um die Mündung noch bei Tageslicht zu erreichen. 

Die nächsten Kilometer gleichen daher eher einem Teamzeitfahren, wären da nicht all die Kleinigkeiten, die uns den Tag über erspart geblieben waren: Plattfuß, drückende Schuhe und immer wieder Pinkelpausen (liegt das am Radler?).

Nach schier endlosen Kilometern an einem schnurgeraden Damm entlang kommt endlich die vermeintliche Erlösung: ein Schild mit der Aufschrift: „Isar-Mündung 9,8 km“. 

Die Sonne kratzt bereits am Horizont, aber wir könnten es tatsächlich schaffen und im Sonnenuntergang gemeinsam in die Donau springen … doch wir haben uns zu früh gefreut! Nach ein paar Kilometern meldet unser Navi, dass wir auf der falschen Flussseite sind. Wir müssen zurück zur letzten Brücke.

2. JULI 2021, 21:25 UHR

Wir können die Donau schon riechen, als unser Weg an einem Damm plötzlich endet und sich in viele kleine Pfade verzweigt. Wir nehmen den erstbesten, kämpfen uns wieder über umgestürzte Bäume, durchqueren überflutete Passage und kleine Bäche. 

Das Gebüsch wird immer dichter, das Licht schwindet und jetzt haben uns auch noch die Mücken entdeckt. Alles egal, wir versuchen es weiter, denn wir sehen sie bereits: die Mündung in die Donau! Keine zweihundert Meter entfernt! Doch dann verliert sich der kleine Pfad im dichten Gestrüpp komplett. 

Ohne Machete kommen wir hier nicht weiter! Das hatten wir uns anders vorgestellt. Nach etwas über 17 Stunden und einer reinen Fahrzeit von knapp 13 Stunden mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 km/h endet unsere Tour: im Gestrüpp. 

Aber wir fühlen uns trotzdem wie Könige. Wir haben die Donau genau vor unserer Nase und es damit tatsächlich geschafft, die Isar in ihrer ganzen Länge an einem einzigen Tag zu „erfahren“!